Der Witz des Fußballs

Der münsterländische Sportwissenschaftler Reinhard Jansson sorgt für Verwirrung unter den Fußball-Trainern

MÜNSTER taz ■ „Wenn ich einen Witz vortrage, ist meine Absicht, durch die Präsentation das eine Ziel zu erreichen: Der Zuhörer soll lachen – oder zumindest amüsiert schmunzeln“, sagt Fußball-Forscher Reinhard Jansson. Im Fußball sei es ähnlich: „Ich stehe vor einer Situation, zum Beispiel im Angriff, die ich mit der Zielsetzung ‚Tor‘ lösen will. Dieser Weg dorthin, das ‚wie‘ des Witz-Erzählens oder beim Fußball die Wahl der effektivsten Weg zum Tor, darauf kommt es doch an“. Dieser Vergleich, mit dem Jansson seine neue Untersuchung vorstellt, erstaunt die Fußball-Trainer und Experten. Sie fühlen sich in ihrer Kompetenz angegriffen.

Der Dozent aus dem Münsterland hat mehr als 1.800 Spielszenen aus dem internationalen Spitzenfußball auf ihre Effektivität hin ausgewertet. Das Ergebnis: Eine überaus schlechte Chancenvorbereitung im Angriff. „Auf‘m Platz, die Wirklichkeit, die sieht doch ganz anders aus“, kommentieren einige „Praktiker“ die Studie bereits. Doch die Daten zeigen nicht nur Defizite auf, sondern sie können auch mit Bildern und damit ‚Beweismaterial‘, belegt werden.

Der Fehlpass im Fußball ist demnach häufig vermeidbar. Die Kicker müssen nur anders, situationsorientierter trainiert werden, so das Konzept. Nur, wie erklär‘ ich‘s dem Trainer? „Ich habe mir im Laufe meiner Trainerjahre Technik- und Taktiktraining angeeignet. Auch wenn ich diese Erkenntnisse nachvollziehen kann, werde ich meine Arbeit nicht ändern“, sagt ein Coach, der vor wenigen Jahren noch in der ersten Liga tätig war.

Obwohl er der Auswertung entnehmen kann, dass im Spitzenfußball 74 Prozent der Flanken einen Ballverlust zur Folge haben und gerade einmal noch ein Prozent der erzielten Tore nach Flanken fallen. Dies hat die Auszählung und Analyse der Angriffszenen in 15 Spielen der Europameisterschaften, Champions-League oder Bundesliga von 1997 bis 2000 ergeben.

„Am effektivsten ist hier noch der hohe Pass aus dem Mittelfeld in den Strafraum hinein. Im Anschluss daran habe ich eine Torquote von immerhin zehn Prozent ermittelt“, ist Reinhard Jansson von der Resultaten seiner Studie eher überrascht. Sogar er selbst, der als Spieler bis hin zur dritthöchsten deutschen Liga aktiv war und demnach weiß, wie schwierig der geniale Pass zu schlagen ist, hat bei der Vorbereitung der Spielbeobachtungen nicht mit solch einer hohen Fehlerzahl gerechnet.

Im Anschluss an die eigene Spieler-Karriere hat Jansson in der Praxis schließlich versucht, zu beweisen, dass es auch anders geht. Mit einer Jugendmannschaft, die er zehn Jahre lang trainiert hat, gelangen ihm Saison-erfolge wie Torquoten vom mehr als 100 Treffern je Spielzeit und Ergebnisse wie 13:0 oder 21:1; wohlgemerkt im Juniorenbereich, aber auch dort auf einem Niveau, das einen engagierten Übungsleiter voraussetzt.

„Ich habe versucht, bei den Jungs eine Situations-Löse-Kompetenz zu entwickeln. Das Training war nicht darauf ausgerichtet bei den Spielern, den perfekten Spannstoß auszubilden, sondern ihnen zu vermitteln, welcher Weg vom Mittelfeld hin zum Strafraum bis vor das Tor der effizienteste ist“, zieht Jansson schließlich die Parallele zum gelungenen Witz, bei dem ebenfalls der Prozess entscheidend ist, um das gewünschte Ergebnis – Gelächter – zu erzeugen. Bereits seit zwei Jahrzehnten beobachtet er die Fußball-Szene, um daraus Konsequenzen für die Praxis zu entwerfen. Schon vor einigen Jahren stand für ihn fest: „Der Top-Fußball in Deutschland wird sich in den nächsten Jahren nicht nach vorn bewegen. Bevor wir den Kindern nicht wieder Bolzplätze anbieten und sie zum freien Kicken locken können, werden wir keine Zidanes oder Figos hervorbringen.“

Zur WM 2006, so Jansson, sei wohl nur noch eine Korrektur im Schnellverfahren möglich, um das Ziel, den Titel, zu erringen. Schließlich lacht dann die ganze Nation und freut sich über einen Prozess, der ganz ohne Witz auskam. MARION FELDKAMP